voriger Teil
Wie alles, so gingen auch die vier Kriegsjahre herum.
Im November 1918 war Schluss des Krieges. Die deutschen Truppen kehrten zurück und es kamen auch Soldaten bei uns in Quartier, die wir selbstverständlich gut pflegten. Die Soldaten quartierten die Pferde in dem unteren Webereiraum ein. Morgens fanden wir, dass die hungrigen Tiere eine Transmissionsleiter bald durchgefressen und auch die oberen Laden an den Webstühlen stark beschädigt hatten. Die Soldaten, die hier im Hause schliefen, stahlen uns eine halbe Wolldecke vom Bett, Kleider vom Speicher und schnitten mir aus einem auch dort lagernden 20 cm breiten Hauptriemen der Lokomobile 3 meter Länge heraus. Das was der Dank für die gute Verpflegung. Ich meldete diese Schäden bei der Bürgermeisterei an. Den Schaden von den 3 m Hauptriemen bin ich erst gewahr geworden, als ich einige Zeit nach Kriegsende die Lokomobile wieder in Betrieb setzen wollte. Der Dieb hatte nämlich das Ende des Riemens mit den Nähriemenlöchern wieder so gestellt, als ob an dem Riemen nichts geschehen wäre. Es fehlten, wie gesagt, 3 m.
Ich liess diese 3 m neu machen und wir begannen zu arbeiten. Als wir ca. 2 - 3 Wochen in Betrieb waren, sahen wir eines Sonntags morgens, dass schon wieder ein Dieb mich heimgesucht hatte. Der ganze 10,80 m - 20 cm breite Hauptriemen war gestohlen. Was machen? Es war in der Zeit nach dem Kriege, wie Leder noch ganz besonders begehrenswert war. Ein neuer Lederriemen würde nach eingegangener Erkundigiung über 7000 M. kosten und würde ganz bestimmt wieder gestohlen. Ich suchte dann einen Kamelhaarriemen zu erstehen, den ich nicht in Aachen, wohl in Köln für über 4000 M erhielt.
Ich habe dann einige Zeit einen Wächter für die Nacht angestellt, das war aber auch für die Nacht zu teuer.
Bezüglich der Regulierung der angemeldeten Kriegsschäden war in Aachen ein Büro errichtet worden. Ich correspondierte mit den Herren und meldete meine Schäden über 900 M. an. Ich erhielt die Antwort, dass diese Schäden nicht als Kriegsschäden betrachtet werden könnten, da der Krieg zu Ende gewesen sei. Ich schrieb ihnen darauf, es gäbe keinen Krieg ohne Anfang und ohne Ende und da die Soldaten und Pferde auf dem Rückzug aus dem Krieg diese Schäden herbeigeführt hätten, waren es eben Kriegsschäden. Ausserdem hätten sie die Pflicht mich zu entschädigen, da die Soldaten hier gut verpflegt worden wären und als Dank mich bestohlen hätten. Erst als wir schon längst Neubelgier geworden waren, erhielt ich die Einladung zwecks Regelung der Kriegsschäden nach Aachen zu kommen.
Zu der Zeit war das Fahrgeld in belg. Franken mehr wert wie die 900 M. Kriegsschäden und ich hätte folglich Geld verloren. Deshalb bin ich nicht nach Aachen gefahren. Im Jahr 1930 sind mir die Kriegsschäden vom belgischen Staat prompt in Franken geregelt worden. Ich erhielt 900 x 1,25 = 1125,- frs. Entschädigung.
Im Jahre 1920 wurden die Kreise Eupen - Malmedy St.Vith abgetrennt und wurden belgisch.
Zuerst war es ein kleiner Staat für sich, ein Gouvernement. Herr Baron Baltia wurde Gouverneur und wohnte und regierte in Malmedy. Unter seinem Regime sind viele hohe Erlasse herausgegeben worden.
Dann kam die Geldumwechslung. Den Arbeitgebern wurde am Dienstag mitgeteilt, dass sie am Samstag derselben Woche in Franken löhnen mussten. Die erste Löhnung war am 18.März 1920. In Eupen war ein Büro im Rathaus, wo man Freitags mit der Lohnliste für Samstag erscheinen musste und man erhielt für soviel Mark dieselbe Zahl Franken mit der Bedingung, dass den Arbeitern auch 1 zu 1 ausgezahlt werden musste, unter Androhung von Strafe. Für den Haushalt erhielt ich eine kleine Summe ausgezahlt, resp. umgewechselt in Franken. Die Löhne konnte ich ca. 4 Wochen, wie vorhin gesagt, abholen und auszahlen, dann stellten sie die Umwechslung ein. Man konnte sehen, wie man weiter seine Leute in Frs. bezahlte, man hatte halt keine.
Diese Anordnungen, von heute auf morgen die belgische Geldwährung einzuführen und 1 zu 1 an die Arbeiter zu zahlen waren grundfalsch. Dann hätten wir eben genügend Frankengeld von Belgien erhalten müssen. Zu der Zeit kostete ein m Tuch 40 und 200 M, ein Zeichen, wie falsch die Lohnzahlung 1 zu 1 an die Arbeiter war.
Dann kam die Endumwechslung. Ich hätte erwartet, auch für die Bezahlung der in Franken gekauften Garne etwas Franken zu erhalten, aber weit gefehlt. Mir wurde gesagt, dass ich mit den erhaltenen Löhnen schon über das mir zustehende Mass an Franken erhalten hatte.
So hatte ich also mein Barvermögen an meine Arbeiter abgegeben. Die Fabrikanten kamen in die grösste Verlegenheit, da sie die gekauften Rohmaterialien nicht bezahlen konnten. Es wurden sog. Regierungskredite bei den Banken gewährt. Ich musste auch einen nehmen und da ich ca. 1000 kg Kammgarn zu zahlen hatte einen recht hohen von 80.000 Franken. Ich musste 80.000 M. zur Bank besorgen und erhielt dagegen soviel Franken Kredit. Dieser Kredit wurde für mich fast unerträglich, zumal ich keinen Meter Tuch in Franken verkaufen konnte. Das Rohmaterial, resp. das Kammgarn zum Arbeiten hatte ich gekauft von Michels fils in Verviers. Einer der Söhne glaubte auch in Verviers Tuch verkaufen zu können. Er verkaufte auch tatsächlich 25 Stücke blauen Serge an eine Firma Croufer in Verviers. Diese Firma liess sich die Stücke vor und nach liefern und man glaubte, es sei alles in Ordnung. Aber als alle Stücke dort waren (es waren mittlerweile die Preise für Tuch mächtig gesunken), da fand Herr Croufer in den Stücken Appreturschatten und verweigerte mir die Annahme von allen Stücken.
Ich liess die Stücke bei Hüffer und Co, die dieselben appretiert hatten, nachbehandeln, aber man wollte sie eben nicht, weil die Preise gesunken waren. So konnte ich noch Lagergeld im Condionement, wo Croufer sie hingeschafft hatte, zahlen und die Stücke nach Hause holen lassen. Wenn wir nicht damals die „Boches” gewesen wären, dann hätte man event. die Sache gerichtlich entscheiden lassen. Aber so war ein solches Beginnen aussichtlos. Die Stücke lagerten nun über ein Jahr hier, unter steter Sorge, dass die Motten nicht grosse Schäden daran anrichteten und schliesslich musste ich sie doch in Mark verkaufen. Die Mark wurde aber immer wertloser, so dass alles, was in Mark verkauft wurde, eben glatt verloren war.
Ich bekam zu der Zeit von der Bank die Nachricht, da die Mark wertloser geworden sei, so müsste ich gegen den Credit von 80.000 Franken, nochmal 80.000 Mark dagegen setzen, also zusammen 16.000 Mark!
So wurde ich nochmal 80.000 M los, die ich teilweise noch leihen musste. Hier musste ich mit meiner 10-köpfigen Familie leben, und zwar in Franken, ohne auch nur, ausser den Mieten, einen Franken zu verdienen zu können. Unvergesslich schwere Zeiten.
In der Zeit der „Inflation” ging die deutsche Mark rapid im Werte herunter. So erhielt ich von der Bank die Nachricht (unglaublich aber wahr), da die Verwaltungskosten für die 160.000 M in Franken mehr wert seien wie das Kapital selbst, nähmen sie zur Veranlassung die 160.000 Mark zu streichen. So verlor ich sämtliche Mark und es blieb mir die Frankenschuld mit einer nicht zu erschwingenden Schuldenlast. Hier in der Weberei lief kein Stuhl mehr, beinahe 2 Jahre lang.
Durch meinen Bruder Carl in Köln erhielt ich eine Verbindung mit einem Herrn Werner Schmidt in Köln. Derselbe hatte einen grossen Handel mit Strick- und hauptsächlich Kammgarnen. Gleichzeitig mietete ich von Herrn Otto Meyer (Inhaber der Firma I&J Meyer, Bachstrasse Aachen) für die ich früher 25 Jahre in Lohn gearbeitet hatte, eine grosse Halle mit 100 Webstühlen. In diesem Mietvertrag war vereinbart, dass die Stühle, die in Betrieb waren, nur zu zahlen waren. Mit Herrn Schmidt hatte ich einen Vertrag abgeschlossen: er stellte mir das Kammgarn für die Stühle zu beschäftigen, während ich die Arbeitslöhne, Appretur, Färberei etc. finanzieren musste. Auch musste ich für den Verkauf der fertigen Ware sorgen. So wurden immer mehr Webstühle in Betrieb gesetzt und ich sah mich bald ausserstande, die immer grösser werdende Sache zu finanzieren. Zu der Zeit brannte in Aachen-Rothe Erde ein Teil der Fabrik von Gregoir & Heyden ab und ich hörte, dass die Leute darunter schwer gelitten hatten. Der Inhaber dieser Firma, ein Herr Wette, war deshalb überglücklich, als ich ihm, um arbeiten zu können, das Garnmaterial zur Verfügung stellte, natürlich im Einvernehmen mit Herrn Schmidt. Herr Wette und ich fuhren einmal zum Herrn
Schmidt nach Köln Marienburg und vereinbarten die neue Verbindung mit der Firma Gregoir & Heyden. Bei der Rückfahrt von Köln geschah folgendes. Die Schalter waren überfüllt und ich musste für die Heimfahrt eine Fahrkarte erstehen. Herr Wette sagte: nehmen Sie sich ein Karte 4. Kl. an einem anderen leeren Schalter und dann lösen Sie beim Zugführer nach. Gesagt, getan. Ich kam oben beim Zugführer, für mich ein ganz Unbekannter, und fragte ihn, ob ich nachlösen könne. Da sagte er: „Jawohl, Herr Schunck aus Kettenis, das können Sie haben.” Dies war mir ganz unverständlich. Er war in Aachen in einer Versammlung gewesen, wo ich auch war, und hatte mich so von Weitem kennengelernt. So arbeiteten Gregoir und Heyden und ich zusammen. Es war für mich angenehm, da die Leute eine grosse Musterkollektion hatten, wonach wir arbeiten konnten, die uns zur Zeit mehr oder weniger fehlte. Diese Verbindung dauerte 1½ Jahr; es war damals eine sehr schlechte Konjunktur eingetreten, sodass es schwer war, mit Verdienst zu verkaufen. Dann kam das Schlimme, Herr Otto Meyer hatte zu seinem Direktor Hulverscheidt gesagt, ich muss dem Schunck die Weberei kündigen, denn wir ziehen uns die Konkurrenz gross. Zu gleicher Zeit trat in die Firma Schmidt ein neuer Herr ein, denn, wie er sagte, die Sache mit uns zu klein war, er hatte neue grosse Pläne. So endete das Verhältniss mit Schmidt und Meyer nach 1½ jährigem Bestehen. Ich muss sagen, dass ich in meinem ganzen Leben nicht soviel Vertrauen genossen habe, wie beim Herrn Schmidt, da er mir eine Menge Garne zum Verarbeiten in die Hände gab, obwohl ich in Belgien meinen Wohnsitz hatte. Solange ich die Weberei von Meyer gemietet hatte, benutzte ich einen Raum dort für Büro und Lager. Danach mietete ich ein Büro in der Kaiserallee.
Mein Vetter Carl Schunck war eine Zeitlang beim Josef (ID=40? als Bürobeamter. In den Jahren 1924 - 25 war eine ganz schlimme Zeit. Jeder 5. Kunde ging in Konkurs oder kam unter Geschäftsaufsicht. So hatten wir 13 Kunden, die nicht mehr zahlen konnten, wobei viel Geld verloren worden ist.
Einen besondern Pech hatte ich mit einer Bank in Aachen. Mein Sohn Josef fuhr täglich mit der Kleinbahn von hier nach Aachen und zurück. Unterwegs traf er einen Josef Herné aus Eupen, der, wie er sagte, 2. Direktor der Deutschen Handels- & Creditbank in der Hindenburgstrasse war. Der animierte den Josef, er solle ein Konto bei dieser Bank eröffnen, versprach hohe Zinsen u.s.w.
Josef liess sich überreden und zahlte dort, gegen meinen Willen, Geld ein. Der Verkehr ging eine Zeit lang gut, bis eines Tages die Bank die Zahlung einstellte. Wir, die Fa. Nic. Schunck & Cie hatten ein Guthaben bei derselben von gut 6000 holl. Gulden. Durch den Verkehr mit Herrn Schmidt hatte ich einen grössern Geldumschlag. Mit Ach und Krach erhielt ich noch 2 - 300 Gulden zurück. Und das andere war so gut, wie verloren.
Es waren noch drei Personen, ausser mir, in derselben Lage. Dies war Frau Mundorf aus Verviers, Fräulein Bülles Aachen und noch eine Baufirma? Frau Mundorf, die auf Veranlassung des Jos. Herné ihr Geld verlieren sollte, nahm für den Betrag eine Hypothek auf das Haus des Vaters von Jos. Herné aus Aachen. Die hatte sich in Etwa gesichert. Jos. Herné, als unbestellter Vertreter der Frau Mundorf, Fräulein Bülles, die Baufirma und wir, strengten ein Prozess an gegen die Centrale der Deutschen Handels- & Creditbank in Düsseldorf auf Rückzahlung eines Teiles unserer Gelder. Der Direktor dieser Bank, Joh. Britz, hatte alle Gelder weiter cediert resp. verschoben. So verloren die Kläger den Prozess und mussten
sich prozentual die Gerichtskosten teilen. Herné, der ohne Wissen der Frau Mundorf den Prozess mit uns führte und den grössten Betrag (3000 M) vertrat, hätte folglich auch den grössten Teil der Kosten tragen müssen. Aber hier versagte er ganz und gar. Er hatte eben nichts. Die andern Beteiligten am Prozess und ich mit, bezahlten unsere Kostenanteile, jedoch verlangte der Rechtsanwalt der Gegenseite, dass wir drei auch den Anteil Herné bezahlen sollten. Alle drei waren hiervon nicht sehr erbaut und liessen mit dieser Zahlerei schon etwas auf sich warten. Zu dieser Zeit waren wir daran, unser Büro in der Kaiserallee aufzugeben und hatten dem Spediteur schon einige Möbel mitgegeben. Verschiedene Kämme, ein Pult mit Inhalt und das Fahrrad von Josef waren noch im Büro zurückgeblieben. Ich allein war an einem Nachmittag im Büro am Aufräumen um nächsten Tages ganz wegzuziehen. Es klopfte an der Tür. Auf mein „Herein” trat ein Herr und eine Dame ein. „Sind Sie Herr Schunck?” „Jawohl!” sagte ich. „Dann haben wir Glück. Mein Name ist Obergerichtsvollzieher Heringsnas und diese Dame ist Frau Rechtsanwalt Dr. Spoerl aus Düsseldorf. Wir kommen wegen den Gerichtskosten des Herné und wollten anfragen, ob Sie einen Teil davon bezahlen wollen.”
Ich sagte, „Ich habe gar kein deutsches Geld hier und kann folglich auch nichts zahlen.”
„Dann muss ich pfänden” sagte der Herr Ober.
Ich sagte zu ihm „Warum pfänden Sie nicht bei Herné selbst?”
„Da sind wir gewesen. Der alte Herné hat das Haus überbelastet und der Sohn sagte, er hätte nicht mal das Geld, einen Revolver zu kaufen. So war also dort nichts zu holen, deshalb muss ich hier pfänden.”
„Tuen Sie, was Sie nicht lassen können.” sagte ich, „Aber kleben Sie mir hier nichts auf. Schätzen Sie den ganzen Plunder und sagen Sie mir,
was es Ihnen Wert erscheint”
Er sagte: „120 Mark.”
„Ich werde morgen meine Tochter mit 120 M zu Ihnen schicken.” Was auch geschah. Zur selben Zeit kam Spediteur Radermacher die letzten Sachen abholen. Ich war allerdings 120 M zugunsten Hernés schon wieder los. Aber Fräulein Bülles Aachen, die hat all die Kosten für Herné andauernd bezahlen müssen. Ich war ja im Ausland, und deswegen nicht so gut zu erreichen. Zu dieser Zeit, kurz vor dem Wegzuge von Aachen, kommt ein Herr ins Büro zu meinem Sohn Josef und sagt folgendes:
„Mein Name ist "Dicken", und ich war früher Direktor bei der Deutschen Handels und Creditbank. Ich wollte Ihnen verraten dass die Bank noch 1300 Mark als Hypothek bei der Weberei Neersen bei Gladbach hat, dann noch zwei kleinere Posten bei einer Knopffabrik und 17000 M bei einer Firma Erdmann in Essen.” Wir liessen die beiden Pfosten bei Neersen und Essen pfänden. So konnte niemand über die Gelder verfügen, die Herren Britz nicht und wir nicht. Wenn ich meinen Anspruch hätte geltend gemacht, so musste ich einen Prozess anstrengen und hätte mindestens 1000 M vorlegen müssen. Nach all den Verlusten konnte ich das nicht. Der Zustand dauerte drei Jahre lang. Aber nach drei Jahren wurde ich von einem Kleinhändler Britz aus Düsseldorf verklagt, zwecks Aufhebung der Pfändung des Betrages von 10000 M bei der Weberei Neersen. Die Gauner Britz hatten das so mit dem Geld angestellt. Joh. Britz war Direktor der Deutschen Handels und Creditbank die uns den Betrag schuldete. Conrad Britz war Direktor einer kleinen Bank Löwenstein. Johann hatte das Geld an Conrad zediert und Conrad resp. die Löwensteinbank hatten dasselbe in Neersen als Hypothek ausgesetzt. Und ein dritter Bruder, Jos. Britz, verklagte mich. In dieser Gerichtssache hatte die Gegenseite 3 Eide und zwar die beiden Inhaber der Weberei Neersen beschworen, dass sie das Kapital von Löwenstein erhielten:
Gegen diese Eide war nichts einzuwenden. Aber Löwenstein beeidete, dass das Geld sein Eigentum gewesen sei. Auf jeden Fall war dieser Eid falsch. Jedoch zählte er gegen uns mit. Unser Zeuge Dicken versagte ganz, der wusste sicher weshalb. Es war unserm Rechtsanwalt ein Brief eines Rechtsanwalten aus Köln in die Hände gekommen, der aber gar nicht zu unserm Prozess gehörte. In dem Briefe war zu lesen, dass die Deutsche Handels & Creditbank in Düsseldorf eine Hypothek auf die Neersener Weberei habe. Der Schreiber dieses Briefes sage vor Gericht, er habe sich geirrt. So hielt kein Zeuge von uns Stand und wir verloren den Prozess, indem wir dort in Neersen die Pfändung aufheben mussten. Ich hatten meinen Rechtsanwälten, Drs. Lanber Aachen, 700 RM bezahlt und diese teilten mir so plump wie möglich mit, dass ich auch die Rechtsanwälte der Gegenseite, Gebr. Löwenstein Aachen, mit annähernd 1000 M abfinden müsse. Ich dachte, diese Rechnung wartest du mal ruhig ab. Heute an dem Tage, da ich diese Zeilen schreibe, sind bereits 10 Jahre seit dem Prosess verflossen und die Rechnung der Löwensteins ist noch immer nicht eingegangen. Als die Herren Gauner sich die 13000 M, die ihnen nicht gehörten teilten, ist es ihnen auf die Zahlung an ihre Rechtsanwälte nicht angekommen. Ein Zeichen, wie sehr die Leute im Unrecht waren. Nun genug von dieser Leidigen Prozesssache.
Da ich gerade daran denke will ich jetzt hier niederschreiben, dass ich in Etwa gegen Unfall für meine Person versichert bin. Beim Grenz-Echo Eupen bei der Versicherung „Patriotique” Brüssel bin ich unter der N° 97568 im Todesfalle mit 3000 Franken versichert. Durch den Bezug des Grenz-Echos und der Bezahlung ist die Prämie hierfür dauernd beglichen. Im Januar 1932 kaufte ich 3 Kriegsschäden
Obligationen, und zwar folgende:
1 Obligation à 250 frs Serie 016.481 N° 01 4% (1921)
1 „ à 250 „ Serie 182.707 N° 03 5% (1922)
1 „ à 500 „ Serie 068.111 N° 5 5% (1923)
Von der Obl. 1921 sind bis zum Jahre 1961 in jedem Jahre 1 am 10 Januar fälliger Coupon abzutrennen von 10 frs.
Von der Obl. 1922 sind bis 1963 ein am 1. Juni jeden Jahres fälliger Coupon über 12,50 frs. abzutrennen und von der Obl. 1923 sind bis 1963 am 15. Juni jeden Jahres ein Coupon von 25 frs. abzutrennen. Diese Coupons werden bei der Post eingelöst.
Jede dieser Obligationen bilden eine Los N° für die in jedem Jahre stattfindenden Ziehungen der Kriegsschädenlotterie der Jahre 1921, 1922 + 1923. Im glücklichen Falle kann man also gewinnen. Ich kann meinen Nachkommen nur empfehlen bis zum Jahre 1963 in den Gewinnlisten in der Zeitung nach den oben angegebenen Serien + Nummern zu suchen.
Beim Kauf dieser Obligationen ist gleichzeitig eine Unfallversicherung verbunden für mich selbst. Die Polize N° 371 liegt bei den Obligationen oben in der Geldschublade rechts. Sollte ich also durch einen Unglücksfall sterben müssen, so sollen meine Kinder sich an die Versicherungsgesellschaft „La Patrie” in Brüssel (die genaue Adresse ist aus der Polize ersichtlich) und um Auszahlung der Versicherungssumme von 15000 Franken sich bemühen.
Vor dem Kriege war ich bei der Karlsruher Lebensversicherungsbank in Karlsruhe lebensversichert mit 4000 Mark. Mit Eintreten der Inflation in Deutschland und auch nachher konnten die Prämien für diese Versicherung nicht mehr gezahlt werden. Im Jahre 1931 habe ich in Karlsruhe angefragt, ob man diese Versicherung nicht aufwerten könnte.
angesichts dessen, dass ich so viele Prämien in wertvollen Mark gezahlt habe. Man hat mir geantwortet dass ich seit dem 14. Februar 1924 unter der N° 133954 mit 751,- Reichsmark beitragsfrei versichert sei. Auf diesem Aufwertungs-Nachtrag ist ein grüner Zettel aufgeklebt folgenden Inhalts: „Für alle am 1. Januar 1931 bestehenden aufgewerteten Versicherungen erhöhen sich die Leistungen um 15%.”
Wenn ich das recht verstehe, so wird nach meinem Tode, oder nach dem vollendeten 85. Lebensjahr anstatt 751 RM , noch 15% = 112,65 also zusammen 863,65 RM ausgezahlt. Um diese Auszahlung muss sich gegebenen Falles direkt bemüht werden. Die Aufwertungspolize liegt ebenfalls oben in der Schublade rechts. Um diese Angelegenheit am bestenzu regeln, möchte ich empfehlen, sich an meinen letzten Agenten Herrn August Arens (Kirchenrendant Haas Kirche) oder wenn er nicht mehr leben sollte, an seinen Sohn August zu wenden. Diese Herren kennen die Wege und können, falls dies gewünscht werden sollte, auch über die alte Versicherung von vor dem Krieg Auskunft geben. Von dieser Versicherung habe ich meines Wissens nichts mehr in Händen. In dieser letztgenannten Angelegenheit habe ich folgendes unternommen. Ich will mir diese Versicherungsaufwertung jetzt vorzeitig auszahlen lassen und habe ein dementsprechendes Schreiben nach Karlsruhe gesandt. Heute nach 8 Tagen seit Absendung dieses Briefes ist noch keine Antwort eingegangen. Über den Verlauf dieser Sache werde ich später berichten.
In der Zeit nach dem Kriege, der 1918 endete, wurde ich von meinem frühern Arbeitsfeld Aachen durch die neue Grenze abgeschlossen. Ich konnte keine Lohnaufträge von dort mehr hereinnehmen und nach Belgien hin (Verviers) war vorläufig auch nichts zu holen. So kam es, dass ich meine Weberei hier in Kettenis rund 2 Jahre ohne Beschäftigung hatte und gar nichts verdienen konnte.
Meine 10-köpfige Familie wollte wohl weiter leben. In einer solchen Situation, die ich keinem Feind wünschen möchte, werden denn allerhand Pläne geschmiedet, um weiter zu kommen. So kam folgendes:
Mein Bruder Karl in Köln kannte einen Herrn Krause aus Zweibrücken im Saargebiet. Der, mit seinen Brüdern, hatte dort eine Nagelfabrik. Als Specialität machten sie diese Schuhtax?? (also kleine Schuhnägel). Herr Krause konnte nicht genug reden, wie lohnend das Geschäft sei. Auf die Einladung von Carl kamen 5 reiche Herren und meine Wenigkeit in Köln zusammen und es wurde beratschlagt und beschlossen hier im untern Webereiraum eine Filiale von Krause einzurichten. Jeder wollte sich mit Geld beteiligen und Herr Krause wollte einen Bruder nach hier schicken, um uns in die neue Fabrikation einzuarbeiten. Ich hatte aber vorläufig den untern Raum noch voll Webstühle stehen. Die Textilindustrie ging allenthalben sehr schlecht. So kam es, dass kein Mensch auf unsere Zeitungsannonce reagierte. Es war kein Webstuhl zu verkaufen. Von Köln sagte man mir, „die Sache geht in Ordnung, ich habe bereits in Düsseldorf 10 Taxsmaschinen gekauft. Sorge, dass du die Stühle los wirst.” Ich sprach darauf mit dem Webstuhlhändler Bartholemy in Aachen, der mir die Stühle abkaufte. Aber gegen Markbezahlung. Und die Mark wurde immer minderwertiger. Der Erlös aus den Stühlen ist so ganz verloren gegangen. Da kam etwas unerwartetes. Ich ging nach Eupen zu dem Büro um einen Pass für den Brüder des Herrn Krause zu bekommen. Notar Xhafflaire besorgte die Geschäfte und er sagte mir, „nein, der kann keinen Pass erhalten, der Name passt mir nicht.” Alle meine Einreden halfen nichts, ich bekam eben keinen Pass für Krause. Der Grund, warum ist mir erst später bekannt geworden. Ein Deutscher namens Krause hat hier in Belgien die unmöglichsten Dinge
angestellt und hat die Belgier betrogen und sie rein zum Narren gehalten. So, dass darüber sogar ein Buch geschrieben worden ist. Daher der verpönte Name Krause.
Als nun die Teilhaber in Spé aus Köln und andern Orten hörten, dass dieSache gar nicht glatt abging mit den Belgiern, zogen sie sich der Reihe nach zurück. Carl und ich mussten auch einsehen, dass unter diesen Umständen unser neues Unternehmen wohl nicht zustande kommen würde. Um von den in Düsseldorf bestellten 10 Maschinen abzukommen, musste Carl 40000 M an die Firma zahlen. Ich war meine Webstühle und auch die erzielten Marksummen los. So endigte unsere geplante Nagelfabrik, resp. sie fing garnicht an. Es war wieder eine Hoffnung zuschanden.
In der Nachkriegszeit erhielt ich hier und da einige Ketten von Vervierser Fabrikanten in Lohn zu weben. Ein Fabrikant namens Keyeux, suchte einen Sohn bei einer hiesigen Familie in Tausch zu geben. Der Sohn kam zu uns und unser Josef ging zu Keyeux. So kam ich mit der Firma Keyeux-Hauzeur Dison ins Geschäft. Diese Firma machte gute, aber hauptsächlich schlechte Arbeiten, dann nur zeitweise, nichts Anhaltendes. Es war eben zu viel zum Sterben, aber zu wenig zum Leben. Da der untere Webereiraum leer war, so suchte ich immer irgend etwas Neues darin zu beginnen. Zu der Zeit hatte ich einen Weber namens M. Müllender aus Nispert. Er kam andauernd zu mir und zeigte mir Dosen Schuhcreme, die er selbst gemacht habe und fragte mich, ob ich eine Schuhcremefabrik nicht finanzieren wollte. Ich, oder besser mein Bruder Carl liess diese Dosen Wichse in Köln untersuchen und die Analise war „ausgezeichnete Ware”. Ich sprach über diese Sache mit Leo Thieron, der hier in Miete wohnte, ob er nicht mittuen wollte. Er überlegte sich die Sache und tat mit. Wir kauften nach Angaben von Müllender Material. Das Schlimme war der
Kauf der Dosen. Wir hatten unsere schwere grüne Dose zurecht machen lassen und der Name der Schuhcreme war „Brillantine”. Die leistungsfähigste Firma in dieser Branche lieferte schöne Dosen und auch nicht teuer, aber von jeder Grösse nicht unter 10000 Stück. Da wir zwei Grössen hatten, so mussten wir 20000 Dosen bestellen. Da kam das Schreckliche. Es stellte sich heraus, dass Müllender überhaupt keine Wichse machen konnte. Bei der nächsten Fabrikation spedierte Leo Thieron ihn unsanft heraus. Wir vernahmen dann, dass der Möbelhändler Jos. Zimmermann aus Eupen lange Jahre gute Wichse fabriziert habe. Diesen holten wir dann heran und er machte uns eine gute Ware, immer dieselbe. Er kannte auch das Material um diese zu machen. Aber eines kannte er nicht. Die Wichse war in den heissen Tagen des Jahres zu weich und das gab viel Unangenehmes, wenn die Braucher den Deckel abmachten und sich dabei beschmutzten. Zimmermann konnte das nicht ändern. Sonst hätten wir heute noch diese Fabrikation beibehalten. Nachdem wir ungefähr 12 bis 14000 Dosen verkauft hatten, sahen wir ein, dass wegen dem genannten Fehler das Geschäft nicht weiter bestehen konnte. So sind uns an diesem Sport etwas Material und 2 Kisten voll leere Dosen übrig geblieben und beide Teilhaber haben einige Tausend Franken dabei verloren.
Bereits früher habe ich geschrieben, wie die Weberei entstanden ist. Sie wurde begonnen mit dem oberen Raum, Inhalt 10 Stühle, 1 Motor und 1 Bärmmaschine. Das Grundstück kaufte ich von meinem Vater und ich gründete eine Kommanditgesellschaft. Ich war persönlich haftender Gesellschafter undmein Onkel Herné war Commanditist. Als meine Eltern gestorben waren, musste ich das Eigentum hier übernehmen. Es waren 2 Häuser N° 51 und 52 und ein angefangenes Haus N° 53 sowie das Gartengrundstück unterhalb
der Weberei. Es wurde zu diesem Zweck ein Akt gemacht, wonach ich der alleinige Besitzer des Anwesens wurde. Allerdings misste ich ach die darauf ruhenden Schulden mit übernehmen. Meinem Bruder Josef musste ich 600 M auszahlen Die andern Geschwister und Schwäger verzichteten auf eine Vergütung. Die Lage des Objektes war hier in Kettenis nicht hervorragend. Von Allem abgelegen, war es nicht leicht, als Lohnweberei eine Existenz zu gründen und zu erhalten. Und doch ist dieses, dank praktischer Kenntnisse bis heute noch gelungen. Den jetzigen Garten nach der Kirche hin, kaufte ich im Jahre 1919, also kurz nach Kriegsende von den Geschwistern Nicolas und Josephine Thissen Kettenis-Kirchstrasse für 1000 M. Kurz nach diesem Kauf verkaufte ich dem Nachbar Peter Schunck zweimal einen Streifen von 2 m breit und 32 m lang. Ich erhielt dafür etwas mehr, als den Kaufpreis, so dass ich also die verbleibenden ca. 600 qm Garten umsonst erhalten habe. Dieses Grundstück war im Besitz von Thissen eine kleine Weide für Schafe. Als die deutschen Soldaten mit ihren Kanonen und sonstigen Fuhrwerken aus dem Kriege in 1918 zurückkamen, lagerten sie in dem Höfchen. Sie rissen die Hecken teilweise aus und als sie weg waren, sah das Grundstück ganz trostlos aus. Nachdem die Geschw. Thissen mir den Kauf dieses Grundstücks früher wiederholt abgeschlagen hatten, kam die schreckliche Aussicht desselben mir grade recht. Sie waren jetzt froh es los zu werden. Im Jahre 1933 haben wir, Peter Schunck und ich das Grundstück durch eine gemeinschaftlich angelegte Mauer von einander abgetrennt. Jeder hat für die Folge seine Seite in Ordnung zu halten.
Das Dach der obern Weberei, war bei der Auflage in Asphalt verpfuscht weil beinahe ohne Gefälle. Dasselbe hat mit viel zu schaffen gemacht, da es
trotz aller Klebearbeiten nicht wasserdicht zu erhalten war. Im Jahre 1927 entschloss ich mich, diesem Übelstande ein Ende zu machen und zimmerte selbst mit meinen Söhnen darüber ein Dach mit Ziegeln (Falzziegeln). Das frühere Dach ist jetzt Fussboden geworden und es ist ein grosser Lageraum entstanden. Das neue Dach war 20 meter lang und 12 meter breit. Es kostete an Material 7000 frs. Unser darunter liegender Arbeitsraum ist dadurch ganz trocken für immer, im Sommer viel kühler und im Winter wärmer geworden.
Auf den übrigen Asphaltdächern über dem Lager von August und über der untern Weberei habe ich vorwiegend Welleternit auf den Asphalt gelegt, wodurch die Dächer dicht und im Sommer gegen die Sonnenstrahlen isolieren.
Nach und auch schon während des Krieges 1914-18 verkehrten wir mit einer Firma Manufacture Moderne de Tissus in Dison-Verviers. Mein Sohn Josef kaufte dort fertige Tuche, die er in Deutschland durch unsere Filiale in Aachen verkaufte. Zu gleicher Zeit, als die Filiale in Aachen bestand kaufte Josef bei einer Firma Umoin frères in Brüssel Kammgarn, welches wir hier und in Aachen zu Tuch machten. Im Jahre 1925 hatten wir einen recht guten Handel in Deutschland. Aber in dieser Zeit machten, wie verabredet von 4 Kunden einer Bankrott, oder er kam unter Geschäftsaufsicht. So verlor ich grössere Marksummen; oft erhielt ich nur 3% von unseren Forderungen, oder auch schon mal gar nichts. Von meinen Kunden waren 13 zahlungsunfähig. Einschliesslich des Bankverlustes, worüber ich bereits früher einiges schrieb, verlor ich um diese Zeit rund 25000 Goldmark bei meinen deutschen Kunden. Meine Gläubiger waren ausser dem Appreteur und dem Färber in Aachen, die ihre kleinen Rechnungen sofort bezahlt erhielten die ebengenannten Firmen „Manufacture Moderne de Tissus” in
Dison und die Kammgarnspinnerei „Umoin frères” in Brüssel. Diesen beiden Firmen liess ich durch den Gerichtsvollzieher Gebhard in Eupen meine Lage mitteilen. Nach einigen Tagen erschien hier ein Herr Direktor von Umoin frères mit ihrem Vertreter Herrn Feder Eupen. Ersterer sagte mir Folgendes: „Ich sehe hier bei wem ich bin und bin nicht gekommen um Ihnen den Hals zuzudrücken, sondern um Ihnen zu helfen. Überlegen Sie, was Sie in 3 Jahren bezahlen können.”
Nach reiflicher Überlegung gab ich 45% der Schuld an. Das war das Äusserste, was ich versprechen konnte. „Es ist gut so,” sagte der Herr Direktor, „Sie erhalten über diese Summe Wechsel auf 3 Jahre verteilt und dann ist die Sache aus der Welt geschafft.” Für mich waren das ja 3 harte Jahre aber ich hab sie überstanden und die Zahlung der Wechsel ist pünktlich erfolgt. Das war von der Firma Umoin frères eine wirklich hochherzige Tat. Für die zweite Gläubigerfirma Man. Mod. de Tissus hatte ich ein Lager Tuch, welches bei Carl Schunck in Aachen lagerte vorgesehen, wenn diese sich meldete. Aber, obwohl ich dieser Firma genau dasselbe mitgeteilt hatte, wie der Brüsseler Firma, meldete sie sich überhaupt nicht. Für mich war das sehr erwünscht, da ich für die Brüsseler Firma zu bezahlen alle Hebel in Bewegung setzen musste.
Wenn vom Lager in Aachen Coupons verkauft wurden, so wurde das Geld bei der Landesbank in Aachen angelegt. Sehr oft musste ich das Lager in Aachen umkramen, um die Motten aus den Tuchen zu vertreiben, die sonst grossen Schaden anrichten. Eines Tages gelang es mir, das ganze Lager en bloc zu verkaufen. Herr Kindl kaufte dasselbe, wie es da lag mit Ladenhüter und Alles für Rund 4000 M. Das Geld brachte ich für die Man. Mod. de Tissus zur Landesbank und es harrte dort seiner Bestimmung. Ausgerechnet nachdem 3 Jahre verflossen
waren und keine Zahlung für „Umoin frères” zu leisten war erschien eines Tages der jeweilige Direktor der Firma Manufacture Moderne de Tissus Dison und erkundigte sich, wie es um die Sache ständ. Ich klagte natürlich, dass ich in Deutschland so sehr grosse Verluste hätte und es wäre mir deshalb unmöglich den ganzen Betrag zu bezahlen, es sei denn dass ich Haus und Hof verkaufen müsste. Nach langem schweren Hin und Her einigten wir uns, dass ich die Hälfte der Schuld in 3 Jahren in Form von Frankenwechseln begleichen musste. Diese Zahlungen sind auch alle pünktlich geleistet worden. Ich hatte zwar 6 schwere Jahre durchgemacht, war aber ganz ohne Gericht aus meiner Konkurrenzreifen Klemme heraus. Das überaus liebenswürdige, grossmütige Handeln dieser beiden Firmen kann nicht genug geschätzt und gewürdigt werden.
Zu der Zeit, etwa im Jahre 1926 kamen eines Tages zwei Juden aus Brüssel und ein früherer Direktor der Man. Mod. de Tissus in Dison namens Léon Cornet zu mir und hätten gerne eine Firma in Aachen ausfindig gemacht, da sie nicht gut Deutsch sprechen konnten. Herr Cornet war mir durch den früheren Verkehr mit der Man. Mod. de Tissus bekannt. Er sagte mir, dass die Herren Inhaber von grösseren Geschäften in Gabardinmänteln seien. Er selbst wolle sich selbstständig und diesen Artikel fabrizieren. Ich bot ihm meine Weberei an, was er nicht verneinte. So erhielt ich Arbeit in Gabardinstoffen. Cornet beschäftigte auch noch einen Bruder mit einer kleinen Weberei und noch eine andere Weberei in Dison. Im Laufe der Zeit lernte ich noch andere kleine und grössere Fabrikanten kennen in Verviers, wofür ich hier und da einige Ketten in Lohn übernehmen konnte. Es war aber gar nichts Stabiles, zu viel zum Sterben, zu wenig zum Leben.
Cornet fabrizierte Gabardinstoffe, die nachher wasserdicht gemacht wurden. U.A. eine Qualität 103, welche auf dem Stuhl sehr dicht steht und sich ganz schwer weben lässt. Um bei dieser Arbeit etwas zu verdienen, resp. gute Stücke zu machen bin ich auf den Gedanken gekommen, verschiedenes am Webstuhl zu ändern. Ich merkte seitdem, dass ich die Arbeit 103 mit Vorliebe erhielt, da andere Weber keine guten Stücke machen konnten. Im Jahre 1932 legte Cornet mir nahe, da er immer knapp an Kapital, dass ich einen Bankkredit nehmen soll und ihm auf Grund dessen Wechsel diskontieren solle. Er würde mir dafür laufend, so gut, wie möglich 4 Stühle beschäftigen. Ich erhielt den Credit von der Banque de Bruxelles und glaubte so eine Existenz für meine nun mal ungelegene Weberei zu erhalten. Mit genannter Bank gab es aber ein ganz unangenehmes Arbeiten , da sie nach ihrem Belieben die vorliegenden Wechsel diskontierten, oder sie ablehnten. So war uns Beiden doch wieder nicht geholfen und ich musste leider merken, dass die Kapitalkraft Cornets langsam weniger wurde. Im Jahre 1934 gestand Cornet mir eines Tages, dass er nicht mehr weiter könnte, alle Kunden hatten ein schlechtes Geschäft in diesem Jahre, da es gar nicht regnete und kein Mensch nach wasserdichten Stoffen Verlangen hatte. Er wollte seine Gläubiger auf gütlichem Wege bitten ihm einige Jahre Zahlungsanstand zu geben, in der Zeit er prozentual seine Schulden bezahlen wollte. Alle Gläubiger wollten diese Frist gewähren, nur eine Firma, La Vesdre in Verviers wollte nicht mit tuen. So musste Cornet ein gerichtliches Conkordat beantragen. So erreichte er den Zahlungsaufschub von 5 Jahren, da mehr wie ¾ der Gläubiger einverstanden waren. Da ich durch den Bankkredit und auch durch einige Wechsel in der Sache verwickelt war, blieb
mir nichts anderes übrig, als auch ein gerichtliches Conkordat zu beantragen. Weil es gerichtlich war, musste die Sache an die Öffentlichkeit kommen. Ich muss sagen, das war die schlimmste Affäre, die ich in meinem ganzen Leben durchmachen musste. Eigentlich noch schrecklicher war der Umstand, dass Cornet und ich kein Betriebskapital zum Weiterarbeiten mehr hatten. Beide standen wir vor dem Nichts. Keine Verdienstmöglichkeit mehr für meine Weberei und dabei die Verpflichtung, die Schulden Cornets mit zu bezahlen. Wie sagen uns, das einzige was uns retten könnte, wäre die Ausfindigmachung eines Kapitalisten. Cornet suchte lange in Brüssel und andern Städten. Aber immer konnte er keinen Geldmann finden.
Cornet hatte auf der linken Seite einen Stempel auf seinen Tuchen eingebrannt und besonders unser Dessin 103 in Gabardin war gesucht und beliebt. Da wir aber bereits ein halbes Jahr nicht mehr arbeiten konnten, so wollte eine Firma in Flandern den Artikel aufgreifen. Das kam einer Grossistenfirma in Brüssel zu Ohren und sie bestellte Cornet zu sich. Diese Firma kaufte die Lizenz von Cornet und machten einen Vertrag auf 7 Jahre mit Cornet, wobei sie sich verpflichteten dem Cornet jährlich mindestens 300 Stücke à 75 m Scherlänge in Auftrag zu geben. Es wurde eine neue Firma gegründet in Brüssel mit Namen: Lerner, Dagnelie & Co Rue des Pierres 29 oder kurz „Comptoir Belge de Tissus Caoutchoutis”. Lerner & Co sind 2 Juden und Dagnelie ist ein Katholik. Die Leute sind ziemlich kapitalkräftig. Da Cornet meine Weberei wohl allen Andern vorzieht, so hat er mit die ganze Fabrikation der Gabardinartikel auch auf 7 Jahre übertragen. Cornet kauft die Garne und kontrolliert Weberei,
Appretur und Färberei und liefert die fertigen Stücke nach Brüssel. Dafür erhält er vom fertigen meter 4,20 frs, hat so ein gutes Verdienst und kann selbst seine Schulden bezahlen, während ich mit dieser Sache nichts mehr zu tuen habe. Cornet liefert jede Woche eine Anzahl Stücke nach Brüssel die er sofort bezahlt erhält. Von Brüssel aus sendet er mir von den abgelieferten Stücken die Scher- Knüpf- Web- und Stopflöhne, wie vereinbart nach dem Vervierser Lohntarif jeden Samstag. So hätte der Lenker aller Geschicke diese Angelegenheit nicht besser regelen können.
Wie ich vorstehende Zeilen geschrieben habe, bin ich 67 Jahre alt geworden. Heute ist der 27. Mai 1936. Leider bin ich seit einem halben Jahre nicht mehr ganz gesund. Ich erlitt einen Schwindelanfall und der Arzt hat Zucker bei mir festgestellt. Seit der Zeit habe ich schon etwas danach gelebt und der Zustand hat sich bereits gebessert. Gegen die Zuckerkrankheit nehme ich Pillen mit Namen „Pankrepatine Lallenf”, welche sich sehr gut bewährt haben. Da der Schwindel mich nicht verlassen will, so muss ich auch hierfür die „Zirkulin Knoblauch-Perlen” täglich nehmen. Bezüglich meines Krankheitszustandes wollen wir das Beste hoffen und ich will nun wieder was Geschäftliches niederschreiben.
Da ich, veranlasst durch das hinzukommen der neuen Geldleute in Brüssel meine Stühle besser beschäftigt hatte, gaben es, da ich mit Elektromotor arbeitete ganz grosse Rechnungen des Elektrizitätswerkes in Eupen. Ich beschloss deshalb eine billigere Betriebskraft anzulegen: So wurde im September ein 10 P.S. Dieselmotor angelegt und zwar im frühern Maschinenhaus. Der Kaufpreis betrug 13176 frs. zuzüglich 329,50 frs Umsatzsteuer, zusammen also 13505,50 frs. Die Firma Humboldt-Deutz Motoren (Köln-Deutz) lieferte den Selben
vertreten durch Herrn Albert Thieron Kettenis-Eupen. Um die Anlage möglichst praktisch zu gestalten kaufte ich einen grossen Tank, um 1000 liter Rohöl aufzunehmen, der so angelegt ist, dass man den Betriebsstoff durch öffnen eines Hahnes in den Motorbehälter einlaufen lassen kann. Die Kühlung des Motors geschieht von unserm Wasserleitungsbassin auf dem Speicher der obern Weberei her. Die Kühlung wird durch einen Hahn reguliert. Das Wasser läuft, nachdem es im Motor warm geworden ist in einen Behälter, aus dem jederzeit warmes Wasser entnommen werden kann. Das warme Wasser, welches nicht für diesen Zweck gebraucht wird, läuft wieder in die Cysterne zurück, aus der es dann auch entnommen wird. So habe ich durch Anlage dieses Diselmotors eine billige Betriebskraft erhalten.
Im März des Jahres 1936 geschah es, das in der Weberei das 1000ste Stück mit der neuen Firma in Brüssel fertiggewebt wurde. Diese Gelegenheit liess die Gelegenheit nicht ruhig vorübergehen, sondern lud die Herren aus Brüssel und auch Herrn Cornet zu einem Abendessen ein. Diese kleine Feier verlief sehr zufriedenstellend und hat auch den betr. Herren Freude gemacht. Josef aus Köln war auch an dem Abend nach hier gekommen, der an meiner Stelle eine Ansprache in französischer Sprache hielt.
Ende des Jahres 1935 erhielt ich eine Aufwertung meiner Lebensversicherung bei der Karlsruher Versicherung in Franken ausgezahlt. Es waren rund 9000 Franken, die mir für die Bezahlung des neuen Motors gelegen kamen.
Lesen Sie nun, wie die Fortsetzung der Weberei unter Hermann Schunck gelaufen ist.
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